Kategorie: tausendundeinbuch

  • Überraschung: Lesevergnügen in Pink

    Überraschung: Lesevergnügen in Pink

    Ein guter Griff: Bea Fitzgerald – Girl. Goddess. Queen.

    Seit ich in der Buchhandlung arbeite, lese ich pro Halbjahr mindestens einen aktuellen Krimi, einen leichten/seichten Unterhaltungsroman, einen historischen Roman oder einen Fantasy-Titel, ein Jugendbuch, ein Kinderbuch. Nicht alles davon lese ich gern. Schlimm sind Krimis, die lustig sein wollen, aber nicht sind. Schlimmer sind verwickelte Liebesdramen auf Nord- oder Ostseeinseln. Am schlimmsten ist Romantasy, mit gebrochenen Helden, die nur duch die Liebe (Unterwerfung?) einer Frau gerettet werden können.

    Auf der Suche nach einem Buch fürs Wochenende sprang mir der leuchtend pinkfarbene Band Girl. Goddess. Queen. von Bea Fitzgerald ins Auge. Eine Chance, gleich drei Punkte meines Pflichtprogramms mit nur einem Buch abzuhaken: Romance (PINK!), Fantasy (GÖTTER!), Jugendbuch (YOUNG ADULT!). Meine Erwartung: schlimmste Romantasy. Was ich bekam: das vergnüglichste Lesewochenende seit langem! Ich habe Girl. Goddess. Queen. verschlungen.

    Bea Fitzgerald greift den Mythos um Persephone auf. In der klassischen Erzählweise entführt Hades die Göttin in die Unterwelt und nimmt sie gegen ihren Willen zur Frau. In diesem Roman ist alles ganz anders. Persephone sucht Schutz bei Hades, denn die Pläne ihres Vaters Zeus und ihrer Mutter Demeter machen ihr Angst. Soll sie mit einem der anderen Olympier verheiratet werden?

    Die Geschichte entwickelt sich rasant, mit vielen überraschenden Wendungen. Persephone, Hades und die anderen Charaktere aus der Unterwelt sind liebevoll gezeichnet, als würde die Autorin den Vorbildern aus der griechischen Sagenwelt erlauben, die beste, glücklichste Version ihrer Selbst zu werden. Hier wird die Hölle zu einem Ort, wo sie aneinander wachsen und lernen, zu ihren Wünschen und Bedürfnissen zu stehen. Es geht um Freundschaft, Vertrauen und ein wenig auch um Liebe. Spicy wird es nicht.

    Die Altersempfehlung des Verlags liegt bei 14 Jahren. Ich würde es ohne Bedenken auch Zwölfjährigen verkaufen, wenn sie gern und viel lesen und eine spannende Geschichte mit einem Hauch Romantik suchen.

    Bea Fitzgerald hat einen weiteren Roman veröffentlicht, der in der griechischen Sagenwelt verortet ist. Princess. Prophet. Saviour. spielt während der Belagerung Trojas. In diesem Krieg, der nur Verlierer kennt, kämpfen Helena und Kassandra darum, die Katastrophe zu verhindern. Dieses Buch ist düsterer, ernster und intensiver als das erste. Hier finde ich die Altersempfehlung ab 14 Jahren etwas gewagt. Der Kampf um Troja ist gewaltsam, die Figuren leben in ständiger Bedrohung, ihre inneren Konflikte berühren Fragen, die sich eher Erwachsene stellen und die Szenen, in denen Figuren sich näher kommen, sind ein wenig spicy.

    Mir gefällt Bea Fitzgeralds zweiter Roman sehr, weil er wieder die Welt der griechischen Götter und Helden auf den Kopf stellt. So unterschiedlich die Bücher im Tonfall und in der Tiefe sind – in beiden stellen sich die Charaktere mutig, klug und kreativ der göttlichen Willkür entgegen. Sie verlassen die Wege, die ihnen in den alten Geschichten vorbestimmt sind und kämpfen um Selbstbestimmung, Liebe und Respekt.

    Ich freue mich auf das dritte Buch der Reihe. Girl. Lover. Legend. handelt von Pandora, die das Unglück in die Welt gebracht haben soll, Die deutsche Übersetzung erscheint Ende Oktober.

  • Das Parlament der Natur – mein Buchtipp in schönerlesen No. 24

    Das Parlament der Natur – mein Buchtipp in schönerlesen No. 24

    Yay! Meine Begeisterung auf 1000 Zeichen zu beschränken, war eine sportliche Herausforderung. Meine Empfehlung findet ihr auf Seite 40 im Kundenmagazin der eBuch-Genossenschaft oder gleich hier:

    Mit seinem farbenprächtigen Umschlagmotiv zieht „Das Parlament der Natur“ die Blicke auf sich: Ein Jaguar auf dem Sprung, zwei Aras auf der Flucht. So lebensecht die Szene wirkt – die Tiere sind tot. Ein Museumspräparat, auf ewig gefangen in einer Momentaufnahme des Kampfes ums Dasein, eines von gut dreißig Millionen Objekten im Bestand des Berliner Museums für Naturkunde.

    Naturforscherin Sarah Darwin, Nachfahrin des Begründers der Evolutionstheorie, und ihr Ehemann Johannes Vogel, Direktor des Museums, lassen uns die riesige Sammlung mit ihren Augen sehen. Hier lagern keine verstaubten Zeugnisse der Vergangenheit, sondern ein Schlüssel zu unserer Zukunft. Die Exponate zeigen das komplexe Gefüge der Natur über sehr lange Zeiträume, die Vielfalt des Lebens ebenso wie den zerstörerischen Einfluss des Menschen.

    Das Buch ist wundervoll bebildert und lässt uns tief in die Gedankenwelt der beiden Wissenschaftler einsteigen – ein Geschenk für alle, die sich von der Natur faszinieren lassen.

    Mehr Infos und eine Leseprobe findet ihr auf der Seite des Verlags. Danke an Propyläen-/Ullstein für das digitale Leseexemplar auf Netgalley.

    Wenn euch lebendige Innenstädte und kulturelle Vielfalt am Herzen liegen: Kauft Bücher nicht an fernen Flüssen, sondern bei eurer Buchhandlung vor Ort. Das geht auch online, zum Beispiel über genialokal, dem gemeinsamen Shop von über 750 unabhängigen Buchhandlungen im deutschen Sprachraum. Oder einfach googeln nach Geschäften in eurer Umgebung. Amen.

  • Jetzt lesen! Oliver Hilmes: Ein Ende und ein Anfang

    Jetzt lesen! Oliver Hilmes: Ein Ende und ein Anfang

    Eine Zeitreise in den Nachkriegssommer 1945

    Am 8. Mai vor 80 Jahren endete der 2. Weltkrieg – zumindest in Europa. Oliver Hilmes richtet in seinem aktuellen Sachbuch den Blick darauf, wie sich die Welt in den folgenden Monaten neu ordnete, im Großen wie im Kleinen.

    Es lohnt sich, dieses Buch genau jetzt zu lesen, denn es umspannt den Zeitraum von Mai bis September 1945. Ich habe es kurz vor dem 8. Mai erstmals gelesen. Seitdem nehme ich es immer wieder zur Hand und schaue, was sich in der Woche oder im Monat vor genau 80 Jahren ereignet hat.

    Oliver Hilmes lässt die Geschichte lebendig werden. Er zeigt die weltpolitischen Optionen und Weichenstellungen der Umbruchphase im Sommer 1945 so auf, dass sie auch ohne viel Vorwissen nachvollziehbar sind. Parallel dazu nimmt er die Nöte und Hoffnungen der Menschen in den Blick, die mit den Folgen von NS-Herrschaft und Krieg zu kämpfen haben oder für die der Krieg noch nicht beendet ist. Zeitzeugnisse, Tagebucheinträge, Fotos zeigen Momentaufnahmen. Manche Personen begleiten wir über eine längere Zeit, dazu gehören Kriegsgefangene, Geflüchtete, die Teilnehmenden der Potsdamer Konferenz oder eine Frau, die im ausgebombten Berlin auf Nachricht von ihren Angehörigen hofft.

    Aus ihren unterschiedlichen Perspektiven und Schicksalen webt Oliver Hilmes ein facettenreiches Bild der Zeit. Nicht nur mich hat das Buch gefesselt, auch in meinem Umfeld hat es die Runde gemacht und konnte Menschen begeistern, die sonst eher wenig lesen oder zumindest nicht zu einem Sachbuch greifen würden.

    Große Leseempfehlung für alle, die mehr über die Nachkriegszeit erfahren, aber kein trockenes Geschichtsbuch lesen möchten. Umgekehrt die Warnung für Geschichts-Zahlen-und-Fakten Nerds: Dieses Buch könnte für euren Geschmack zu viel persönliche Geschichten enthalten. Für Buchhändler:innen in diesem Sommer auf jeden Fall ein Must-Have im aktuellen Sortiment.

  • Zwei Leben: Hanns und Rudolf

    Zwei Leben: Hanns und Rudolf

    Thomas Hardings Doppelbiografie hatte ich in der Buchhandlung oft in der Hand, aber immer wieder beiseite gelegt. Zu Weihnachten nahm ich sie endlich mit. Eine gute Entscheidung, denn die ruhigen Feiertage waren ideal, um mich auf dieses Buch einzulassen.

    Zwei gegensätzliche Lebenswege, von der Geburt bis zum Tod: Eine der beiden Personen, Rudolf Höß, hat Einzug in die Geschichtsbücher gehalten. Nicht als Held, sondern wegen unvorstellbarer Verbrechen gegen Menschlichkeit und Menschenwürde. Als KZ-Kommandant installierte Höß die Tötungsmaschinerie im Lager Auschwitz. Unter seiner Verantwortung wurden über eine Million Menschenleben ausgelöscht. Der andere, Hanns Alexander, ein jüdischer Emigrant, hat ihn nach dem Krieg verfolgt und schließlich festgenommen. So konnte Höß beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess als Zeuge aussagen und später selbst vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt werden. Hanns Alexander steht in keinem Geschichtsbuch, aber in einem nahen Verwandtschaftsverhältnis zum Autor.

    Hanns Alexander lebte in London, arbeitete bei einer Bank, engagierte sich in der örtlichen Synagoge. Um seine Jugend in Deutschland und seinen Dienst beim britischen Militär machte er nicht viel Aufhebens. Erst nach Hanns‘ Tod erfährt Thomas Harding, dass sein Großonkel einen der größten Nazi-Verbrecher dingfest gemacht hat. Wie konnte es dazu kommen?

    Um das herauszufinden, schaut Harding nicht nur in die eigene Familiengeschichte. Im Wechsel zeichnet er die Wege der beiden Männer nach. Als Erzähler bleibt er zurückhaltend. Er stellt Zeitzeugnisse in den Vordergrund, lässt Briefe, Fotos, Interviews und Gerichtsakten für sich sprechen. So entwickelt sich nach und nach ein Bild von Hanns und Rudolf. Dass der Autor die beiden durchgängig beim Vornamen nennt, entspricht seinem fast intimen Zugang zu ihrer Geschichte. Harding stellt sie nicht als Prototypen für Täter und Opfer, Verfolger und Verfolgte dar, sondern zeigt sie in Nahaufnahme. Zwei Menschen, die durch ihre Zeit und ihr Umfeld geprägt sind. Menschen, denen sich unterschiedliche Handlungsräume eröffnen. Menschen, die Entscheidungen verantworten – privat, beruflich, politisch. Offen, beinahe neutral, erforscht Harding, was die beiden antreibt, welche Erfahrungen, Begegnungen und Werte ihr Handeln bestimmen.

    Von Anfang an zeigt sich, wie wenig die Lebenswelten von Hanns und Rudolf gemeinsam haben, auch wenn beide im gleichen Land aufwachsen. Mit der Machtergreifung Hitlers ist der Bruch dann vollkommen. Rudolf stellt sein Leben ganz in den Dienst des Nationalsozialismus und wird zu einem Mastermind der Vernichtung. Familie Alexander entgeht der Verfolgung, weil sie sich rechtzeitig für die Emigration entscheidet. Zurück bleiben aber Freunde, Angehörige und die gewohnten Lebensverhältnisse. Auf ewig im Gepäck ist das Wissen, wie schnell Hass, Gewalt und Verachtung eine vermeintlich aufgeklärte Haltung in der Gesellschaft verdrängen können.

    Wie lebt es sich, wenn die eigene Geschichte so eng mit dem Holocaust verknüpft ist? Auch diese Frage erforscht Thomas Harding aus zwei Perspektiven. Mutig geht er auf Angehörige und Nachkommen des KZ-Kommandanten zu. Am Ende des Buches steht ein Besuch in Auschwitz. Gemeinsam mit Höß‘ Schwiegertochter und Enkel sucht er den Ort auf, an dem Rudolf Höß die Ermordung unzähliger Menschen organisierte. Den Ort, an dem er schließlich selbst als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde. Diese Begegnung bildet ein stimmiges Finale, erschütternd und irritierend wie das gesamte Buch.

    Die Doppelbiografie von Hanns Alexander und Rudolf Höß macht Geschichte fassbar, richtet den Blick auf die Verantwortung des Einzelnen und lässt keinen Raum für bequeme Ausreden. Es waren nicht Monster, sondern Menschen, die NS-Diktatur und Holocaust hervorbrachten. Millionen einzelner Personen und ihre Entscheidungen, Tag für Tag. Das ist nicht neu, aber sehr eindrücklich erzählt. Storytelling im besten Sinne.

    Das Buch ist gut lesbar, auch für Personen, die bisher noch wenig Wissen über die NS-Zeit mitbringen, denn die historischen Hintergründe werden entlang der beiden Lebensgeschichten miterzählt. Wer sich über die kühlen Fakten hinaus mit den schlimmsten Seiten der deutschen Vergangenheit auseinandersetzen möchte, findet in diesem Buch einen guten Einstieg, darf aber nicht davor zurückscheuen, dass die Lektüre emotional sehr nahe gehen könnte.

    Der Verlag Jacoby & Stuart hält eine Leseprobe bereit und bietet Infos zu weiteren Büchern des Autors. Auf der Website von Thomas Harding finden sich ergänzende Videos, unter anderem sein Interview mit Höß‘ Tochter Brigitte.

    *Hanns und Rudolf habe ich selbst gekauft. Für meine Einschätzungen spielt es keine Rolle, ob ich ein Buch gekauft, als Rezensionsexemplar oder Geschenk bekommen oder in einem Bücherschrank gefunden habe.

  • Heißer Tipp: Cold Case Ötzi

    Heißer Tipp: Cold Case Ötzi

    Mein schlechtes Wortspiel in der Überschrift scheint mir ein guter Auftakt für die erste Buchempfehlung auf meinem eigenen Blog. Cold Case Ötzi ist mein Buch der Woche, das ich an einem schlappen, faulen, erkälteten Tag in einem Rutsch verschlungen habe.

    Der Titel ist Programm: In bester True-Crime-Manier macht sich ein interdisziplinäres Team daran, die Todesumstände des Mannes vom Tisenjoch zu rekonstruieren. Wer hat Ötzi hinterrücks mit einem Pfeil erschossen? Und warum? Profiler Alexander Horn, Rechtsmediziner Oliver Peschel und Archäologe Andreas Putzer sichten Indizien und begeben sich vor Ort auf Spurensuche. Autor Josef Rother moderiert und protokolliert, wie die drei Experten Vermutungen aufstellen und wieder verwerfen, Tathergänge und Motive diskutieren. Es ist fesselnd, lebendig und auch für Laien verständlich, wie das Ermittlungsteam wissenschaftliche Befunde über den Eismann und seine Zeit in die Aufklärung des Falles einbezieht. Zahlreiche Skizzen und Fotos machen es leicht, die Überlegungen der Experten nachzuvollziehen und laden ein, genau hinzuschauen und selbst in die Ermittlerrolle zu schlüpfen.

    Cold Case Ötzi lässt mich staunend zurück. Ich empfehle dieses Buch allen, die sich für (Vor-)geschichte, True Crime oder ganz allgemein für gut recherchierte Sachbücher begeistern. Lasst euch ein auf eine spannende (und unterhaltsame!) Spurensuche. Wie weit lässt sich ein Mord, der vor über 5.000 Jahren verübt wurde, mit modernen Methoden aufklären? Welche Geheimnisse bewahrt die Gletschermumie weiterhin?

    Auf den Seiten des wunderbaren Folio-Verlags findet ihr weitere Infos zu Buch, Autor und Experten und eine Leseprobe. Zwei kurze Videos auf dem Youtube-Kanal von Folio schenken euch einen Einblick in lebhafte Diskussionen zu möglichen Fluchtwegen oder zur Jagdausrüstung Ötzis.

    Der schönste Weg zu diesem Buch führt euch in eine der Buchhandlungen in eurer Umgebung, der zweitschönste in deren Online-Shop. Die weniger schönen Wege lassen sich vermeiden.

    *Cold Case Ötzi wurde mir freundlicherweise vom Folio-Verlag via Netgalley als Leseexemplar zur Verfügung gestellt. Für meine auf diesem Blog geteilten Einschätzungen ist es irrelevant, ob ich ein Buch gekauft, geschenkt bekommen oder in einem Bücherschrank gefunden habe.